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Wettbewerbsstrukturen und Marktmodelle im Verkehr am Beispiel Singapur

Im Verkehrsbereich existieren diverse ökonomische Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen. Eine Videoreihe des Bildungsministeriums und der Land Transport Authority erläutert am Beispiel des Insel- und Stadtstaates Singapur unterschiedliche verkehrswirtschaftliche Grundlagen aus den Bereichen Straßenverkehr, ÖPNV und Externalitäten.

Mit einer Fläche von 712,4 km² und 5,4 Millionen Einwohnern sind die verfügbare Flächen und die Verwendung derselben von enormer Bedeutung.

Etwa 12 Prozent der Landfläche werden durch das Straßennetz belegt (Wohnraum: 14%). Singapur setzt daher auf möglichst flächeneffiziente Verkehrssysteme, welche zudem den Bevölkerungszuwachs und die Zunahme der täglich zurückgelegten Wege bewältigen können. Derzeit hat der öffentliche Verkehr einen Anteil von 59 Prozent, der Individualverkehr (IV) von 41 Prozent. Bis 2020 soll der Anteil des öffentlichen Verkehrs auf 70 Prozent steigen und der Anteil des IV entsprechend auf 30 Prozent sinken. Innerhalb des Individualverkehrs soll es zudem zu einer Verschiebung vom motorisierten zum nicht-motorisierten IV kommen.

Zu diesem Zweck verfolgt Singapur ambitionierte Ziele im Radverkehr. Derzeit beträgt der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen nur ein Prozent. Zur Steigerung des Radverkehrsanteils soll das Radwegenetz von derzeit 230 km auf über 700 km ausgebaut werden und ein entsprechendes Netz aufgebaut werden. Die Verknüpfung zwischen öffentlichem Verkehr und Radverkehr soll verbessert und die Integrationsdichte erhöht werden.

Singapur Ausbau Infrastruktur Radverkehr
Geplante Verbesserungen im Bereich Radverkehr – Grafik: Singapore Government, Urban Redevelopment Authority

Neben der Verbindung einzelner Stadtteile und der Anbindung derselben an MRT-Stationen soll auch innerhalb der Viertel eine entsprechende Infrastruktur speziell für die Belange des nicht-motorisierten Verkehrs errichtet werden.

Um diese Ziele zu erreichen, soll in den kommenden Jahren die Zugfolgezeit der Metro, genannt MRT (Mass Rapid Transit), auf 100 Sekunden sinken. Das Schienennetz soll bis zum Jahr 2030 von 178 km (2013) auf 360 km ausgebaut werden.

Der öffentliche Personennahverkehr setzt sich aus der Metro (MRT), der Stadtbahn (LRT), Bussen und Taxis zusammen. Die jeweiligen Systeme unterscheiden sich in ihrer Organisationsform und Wettbewerbstiefe voneinander.

Der Busverkehr in Singapur war bis 1965 von großen Ineffizienzen geprägt. Viele verschiedene Anbieter konzentrierten sich auf wenige profitable Routen. Durch mangelnde Koordination kam es zu einem ineffektiven Verkehrsangebot, welches neben mangelhaften Effizienzwerten auch Linien und Linienästen mit geringem Ertragspotenzial vernachlässigte.

Heute operieren zwei private Busunternehmen, SBS Transit und SMRT, in einem Duopol. Durch die in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführten strukturellen Änderungen können beide Unternehmen entsprechende Skaleneffekte erzielen. Durch die Vergabe von Linienbündeln und Konzessionen im Umfeld eines Duopols werden auch ökonomisch unattraktive Linien betrieben. Auf den jeweils betriebenen Linien haben die Anbieter ein staatlich garantierte Monopolstellung. Durch eine staatliche Preisregulierung wird das Setzen entsprechender Monopolpreise und das Abschöpfen der Konsumentenrente verhindert und die Erreichung des staatlich übergeordneten Ziels eines günstigen und attraktiven ÖPNV erreicht.

Im Schienenpersonennahverkehr besitzt der Infrastruktureigentümer ein natürliches Monopol aufgrund der hohen Investitionskosten, welche für den Bau und den Erhalt aufgewendet werden müssen. Aufgrund der hohen Investitionssummen und der geringen Sinnhaftigkeit einen zweiten, parallel verlaufenden Verkehrsweg zu errichten, hat der Eigentümer eine entsprechende Monopolstellung. Wettbewerbern ist es aus eigener Kraft kaum möglich, in diesen Markt einzutreten.

Die Mass Rapid Transit oder MRT wird von SMRT Trains Limited und SBS Transit betrieben. Seit 2003 ist SBS Transit der Betreiber der North East Line (NEL) und seit dem 22.12.2013 ebenfalls der Downtown Line. Die restlichen Linien werden durch SMRT betrieben. Die Qualitätsstandards sollen zum einen durch staatliche Aufsicht und ebenfalls durch die entsprechende Wettbewerbssituation erfüllt werden.

Der Taxiverkehr in Singapur ist mit sieben Marktteilnehmern als klassisches Oligopol konzipiert. Ursache für diese Marktform sind die geringen Skaleneffekte, die geringe Einstiegskosten, der im Vergleich zum klassischen ÖPNV kleinere Markt und die Marktstellung als zum ÖPNV komplementäres Angebot. Die sieben Anbieter betreiben etwa 25.000 Taxis. Taxis sind in Singapur weit verbreitet und günstig. Allerdings kommt es zu starken Engpässen während der Rush Hour, samstags, bei Regen und zwischen 23:30 Uhr und 1 Uhr. In diesen Zeiten sind die Grundfahrpreise zwischen 10 und 50 Prozent höher.

Im Bus- und Bahnbereich sollen die Fahrpreise möglichst stabil gehalten werden. Über eine Formel werden diese über die Inflationsrate und Gehaltssteigerungen indexiert und entsprechend angepasst:

Price Cap = (0,5*ΔCPI + 0,5*ΔWI) – 1,5 %

CPI: Consumer Price Index | WI: Wage Index

Der Preis und dessen Wirkung werden zudem zur Auslastungssteuerung im Schienenverkehr genutzt. Für Fahrten, die an Werktagen vor 07:45 Uhr an 16 MRT-Stationen im Stadtgebiet enden, wird kein Fahrpreis fällig. Fahrgäste, welche jene 16 Stationen zwischen 07:45 – 08:00 Uhr verlassen, müssen nur 50 Prozent des üblichen Fahrpreises bezahlen. Mit diesem Versuch, welcher mittlerweile bis zum 23. Juni 2015 verlängert wurde, soll die Fahrt vor der morgendlichen Hauptverkehrszeit beendet, die die Nachfrage entsprechend zeitlich verlagert und die Nachfragekurve zur Spitzenstunde abgeflacht werden.

Im Rahmen einer restriktiven Verkehrspolitik unterliegt der private Autobesitz in Singapur strengen Regulierungen. Jeder potenzielle Autokäufer muss zuerst eine Berechtigung (Certificate of Entitlement, COE) ersteigern. Regelmäßig entscheidet die staatliche Land Transport Authority (LTA) über die Erteilung von Lizenzen, die in einem Bieterverfahren ersteigert werden können, nach zehn Jahren aber wieder verfallen. Dies ist ein wirksames Instrument, um die Anzahl von Pkw in Singapur zu begrenzen. Der Import von Kraftfahrzeugen ist mit Abgaben von teilweise über 200 Prozent besteuert, hat aber eine hohe Bedeutung als Statussymbol.

Die Verteuerung des Pkw-Besitzes war jedoch eine unvollkommene Maßnahme, da ein Wachstum des Pkw-Bestandes nur verlangsamt und nicht vollständig gebremst werden konnte. So wurden statt größerer und teurer Fahrzeuge vermehrt kleine und günstigere Modelle gekauft.

Da Pkw-Besitz einen hohen Fixkostenanteil mit sich bringt (sunk cost) haben Pkw-Nutzer den Anreiz, die Fahrzeuge aufgrund der vergleichsweise geringen Grenzkosten je Kilometer verstärkt zu nutzen. Durch ein elektronisches Mautsystem wird daher auch die Nutzung mit entsprechenden Abgaben belegt.

Der Preis der Maut variiert über die Zeit, den Ort und die Verkehrsdichte. Dies soll Anreize geben, in den Nebenzeiten zu fahren, auf den ÖPNV umzusteigen oder den Weg vollständig zu vermeiden. Zudem ist die fahrleistungsabhängige Maut ein Werkzeug, um die externen Kosten zu internalisieren.

Für weitere Informationen zum Verkehr in Singapur und dessen spezifischen Besonderheiten sei dieser Artikel empfohlen: Singapurs Transportgeheimnis

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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Ronny
Ronny
2. Juni 2014 21:00

Interessantes Artikel, ich glaube Weltweit haben Metropolen Probleme mit der Verkehrsbewältigung, aber gegen eine generelle Pkw Maut hätte ich nicht gegen. Vielleicht wird auch dadurch etwas weniger Auto gefahren.

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Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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