Analyse Eisenbahn Hochgeschwindigkeitszug

[Studie] Wie erreichbar sind deutsche Großstädte mit der Bahn?

DB ICE Frankfurt Flughafen fern CC Creative Commons
Foto: ICE 3 fährt im Frankfurter Flughafenfernbahnhof ein - Foto: Rune Myreng (runemyreng) @ Flickr - CC BY 2.0

Eins vorweg: Natürlich hätte man sich eine Menge Arbeit ersparen, sich mit einem Atlas oder eine Karte hinsetzen und kurz nachdenken können. Die Ergebnisse dieser Studie mögen für viele logisch und vielleicht auch trivial erscheinen, dennoch sollte man den Erkenntnisgewinn dieser Studie der TU Dresden nicht unterschätzen.

Christos Evangelinos, Claudia Hesse und Ronny Püschel, Mitarbeiter an der Professur für Verkehrswirtschaft und internationale Verkehrspolitik, Institut für Wirtschaft und Verkehr, haben 80 deutsche Großstädte ab einer Größe von 100.000 Einwohnern und einem BIP von 2 Milliarden Euro dahin gehend untersucht, wie gut sie mit dem Schienenpersonenverkehr, sprich der Bahn, zu erreichen sind 1.

Zudem wurden bei der täglichen Erreichbarkeit alle 412 kreisfreien Städte und Kreisstädte Deutschlands berücksichtigt, solange die Reisezeit das vorgegebene Budget von vier Stunden zu dem jeweiligen Zentrum nicht überschreitet. Ein Anschluss an das ICE-Netz wurde entsprechend höher bewertet als ein reiner Anschluss an das IC- bzw. EC-Netz.

Für die Berechnung wurden drei Partialindikatoren entwickelt, die zu einem Gesamtindex zusammengefasst wurden.

Die einzelnen Indikatoren sind in ihrer Bedeutung leicht nachzuvollziehen, bilden sie doch logische Zusammenhänge leicht ab, die in wissenschaftlicher Form natürlich komplexer wirken. Wer sich für die wissenschaftlichen Berechnungsweisen interessiert, kann gerne die einzelnen Partialindikatoren ab Seite 21 nachlesen.

Das Wirtschaftspotenzial wird stark vereinfacht folgendermaßen berechnet: Die ökonomische Attraktivität (BIP, Anzahl der Einwohner) fließt positiv auf die Habenseite ein. Von dieser wird der Raumwiderstand abgezogen, also Zeit oder Distanzen von einem Ort zum anderen. Das einfache Ergebnis lautet, das nah gelegene Städte einen höheren Nutzen generieren als weiter entfernte.

Die relative Netzwerkeffizienz vergleicht einfach ausgedrückt, die Luftliniendistanz mit der real zurückgelegten Distanz, welche die Bahnverbindung vorgibt. Umwege werden folglich bestraft, eine möglichst direkte Bahnverbindung belohnt. Die Luftliniendistanz wird mit 300 km/h “zurückgelegt”. Der Wert der relativen Netzwerkeffizienz wird anhand der Reisezeiten im Schienenverkehr und dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt der Großstädte berechnet.

Der dritte Partialindikator bildet die tägliche Erreichbarkeit ab. Dieser Kumulationsindikator betrachtet, wie viele Personen oder ökonomisches Potenzial (ausgedrückt in BIP) innerhalb eines Tages von einer Stadt aus erreichbar sind. Folgende Idee wird zugrunde gelegt: Ein Geschäftsreisender soll eine Geschäftsreise innerhalb eines Tages mit Aufenthalt im Zielort und Rückreise durchführen können. Um dies zu erreichen, wurde eine maximale Fahrzeit von vier Stunden je Richtung festgelegt. Städte, die man nicht innerhalb von vier Stunden mit der Bahn erreichen kann, gelten als unerreichbar.

Am Ende ergibt sich die folgende Formel mit den gewichteten Faktoren NET relative Netzwerkeffizienz, DAI tägliche Erreichbarkeit, POT Wirtschaftspotenzial:

PCA= –0,384NET+ 0,494DAI+ 0,468POTi

Setzt man nun die Werte der einzelnen Partialindikatoren in die obige Formel ein, ergeben sich folgende Indexwerte und das folgende Ranking:

Rang Stadt PCA-Index
1 Frankfurt 1
2 Düsseldorf 0,9331
3 Hannover 0,8472
4 Köln 0,8464
5 Duisburg 0,8449
6 Mannheim 0,8268
7 Essen 0,8203
8 Ludwigshafen 0,7747
9 Hamburg 0,75
10 Stuttgart 0,742
11 Berlin 0,742
12 Mülheim 0,7047
13 Oberhausen 0,7046
14 Bochum 0,7005
15 München 0,6949
16 Würzburg 0,6773
17 Dortmund 0,6765
18 Kassel 0,6587
19 Göttingen 0,649
20 Offenbach 0,6438
21 Wuppertal 0,636
22 Mainz 0,6235
23 Leverkusen 0,6215
24 Nürnberg 0,6182
25 Braunschweig 0,6152
26 Darmstadt 0,6142
27 Solingen 0,6141
28 Karlsruhe 0,6051
29 Gelsenkirchen 0,6027
30 Hildesheim 0,5835
31 Hagen 0,5809
32 Heidelberg 0,5733
33 Wolfsburg 0,571
34 Bremen 0,5611
35 Hamm 0,556
36 Bonn 0,547
37 Münster 0,5359
38 Krefeld 0,5346
39 Wiesbaden 0,5255
40 Osnabrück 0,5097
41 Herne 0,4979
42 Bielefeld 0,4907
43 Mönchengladbach 0,4701
44 Neuss 0,4645
45 Bottrop 0,458
46 Fürth 0,4353
47 Augsburg 0,4207
48 Recklinghausen 0,413
49 Pforzheim 0,4068
50 Bergisch Gladbach 0,4035
51 Ulm 0,3867
52 Aachen 0,3647
53 Magdeburg 0,3642
54 Moers 0,3294
55 Salzgitter 0,3263
56 Heilbronn 0,3239
57 Ingolstadt 0,3203
58 Leipzig 0,3159
59 Koblenz 0,3124
60 Potsdam 0,3099
61 Erlangen 0,3018
62 Freiburg 0,2961
63 Erfurt 0,2956
64 Paderborn 0,2929
65 Reutlingen 0,2905
66 Lübeck 0,2856
67 Halle 0,256
68 Regensburg 0,2485
69 Oldenburg 0,2341
70 Kiel 0,224
71 Bremerhaven 0,1736
72 Saarbrücken 0,1502
73 Remscheid 0,1461
74 Jena 0,1183
75 Dresden 0,1043
76 Rostock 0,1001
77 Siegen 0,0941
78 Chemnitz 0,0318
79 Cottbus 0,0178
80 Trier 0

Das gesamte Ranking können Sie nochmals diesem PDF entnehmen.

Es lässt sich relativ leicht schlussfolgern, dass die Randgebiete Deutschlands schlechter erschlossen sind als die “Mitte Deutschland”-Verbindungen. Insbesondere Hannover und andere Städte an der Schnellfahrstrecke Hamburg – Frankfurt – München profitieren von der schnellen und guten Verbindung. Platz 1 belegt Frankfurt, das zum einen geografisch gut liegt und zum anderen sehr kurze Fahrzeiten Richtung Ruhrgebiet, Bayern und Baden-Württemberg aufweist.

Städte des Ruhrgebiets sind ebenfalls gut im Ranking vertreten. Allerdings ist hier zu erkennen, dass eine Anbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz von essenzieller Bedeutung für die jeweilige Stadt ist. Städte wie Remscheid und Bergisch Gladbach, die nicht an das ICE-Netz angebunden sind, erreichen trotz ihrer geografischen Lage nur unterdurchschnittliche Indexwerte.

Erreichbarkeit deuter Großstädte mit der Bahn DB

Eklatant ist natürlich das West-Ost-Gefälle. Nach Berlin auf Platz 11 findet sich erst mit Magdeburg auf Platz 53 (!) als nächste größere ostdeutsche Stadt im Ranking wieder. In Sachsen schafft nur Leipzig den Sprung unter die sechzig Besten, Dresden findet sich auf Platz 75, Chemnitz sogar erst auf Platz 78 wieder. Und Dresden besitzt sogar sowohl ICE- und EC / IC-Anschluss wohingegen Chemnitz vollkommen vom deutschen Fernverkehrsnetz abgekoppelt ist. Dieser Wert dürfte sich allerdings verbessern, wenn das gesamteuropäische Eisenbahnnetz betrachtet wird. Grenznahe Städte wie Aachen (Richtung Brüssel / Paris), Freiburg (Schweiz) und Dresden (Prag) werden in diesem Ranking eindeutig unterbewertet.

Städte, die keinen Anschluss an das deutsche ICE-Netz besitzen, sind im Allgemeinen schlechtergestellt als andere Städte mit Anschluss an den Hochgeschwindigkeitsverkehr (Beispiel: Siegen, das zwar zentral in Deutschland liegt aber keinen ICE-Anschluss besitzt). Durch eine Verbesserung des Fernverkehrs der Deutschen Bahn lassen sich strukturelle und wirtschaftliche Verbesserungen erreichen.

Aktualisierung – 10.05.2014

Den falschen Begriff “Stundenkilometer” gegen die korrekte physikalische Einheit [km/h] ausgetauscht.

  1. Die Erreichbarkeit deutscher Großstädte durch den Schienenpersonenverkehr – Christos Evangelinos, Claudia Hesse und Ronny Püschel –  http://www.cesifo-group.de/portal/pls/portal/docs/1/1210251.PDF
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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oli
oli
2. April 2013 23:24

hmm, bei magdeburg und leipzig haben sie wohl nen fehler gemacht. anders ist es nicht erklärbar, dass die ICE-stadt L schlechter da steht als das abgekoppelte MD. vermutlich nahmen sie den einzelnen traurigen reste-ICE, der von wolfsburg nach potsdam über MD einmal am tag wie in sibirien langfährt und danach behaupten alle: “wir sind am ICE-netz!” ja, wer’s glaubt!

wen ein ICE am tag mehr zählt als 12 IC-verbindungen, dann wissen die wissenschaftler in DD mehr als alle anderen.

jedenfalls scheint dort das wirtschaftliche übergewicht des westens in kombination mit einem pseude-ICE-anschluss dafür zu sorgen, dass sich die reihenfolge komplett änderte ins absurde. auch von der duisburger bahnhof ist nicht gerade ein HUB im deutschen fernverkehr, berlin jedoch schon… aber naja, ossis wie ich zählen ja nur halb, weil wer halb so arm ist, ist der studie scheinbar auch nur halb so viel punkte wert.
das die dresdner hier so ein wirtschaftskram mit verkehrswesen vermischen, erinnert an neoliberale zeiten, die überwunden geglaubt.

das haben sie sich vielleicht von der überteuerten bahn abgeschaut, die den osten bis auf berlin fast vom netz genommen hat.

@ admin: cooler block, gerade entdeckt, danke dafür!

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Randelhoff Martin

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Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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