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Staatsbeihilfen und Umweltauflagen für Air France? Nur drei von 57 Routen sind betroffen.

Boeing 777-200ER der Air France - Foto: BriYYZ @ Flickr - CC BY-SA 2.0
Der französische Staat hat die Gewährung von Staatsbeihilfen für die Fluggesellschaft Air France an Umweltauflagen geknüpft. Die Verbindlichkeit und mögliche Sanktionierung bei Nichterreichung der Ziele bleibt jedoch unklar. Die eingeforderte Überarbeitung des innerfranzösischen Liniennetzes zum Zwecke der Verlagerung auf die Bahn betrifft darüber hinaus nur drei von derzeit 57 Routen. Die Auflagen bedeuten somit mitnichten das Ende des innerfranzösischen Flugverkehrs wie es von Medien und in sozialen Netzwerken teilweise verbreitet wird.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen erheblichen Einschränkungen im weltweiten Flugverkehr geraten sehr viele Fluggesellschaften in finanzielle Schwierigkeiten. Die französisch-niederländische Holdinggesellschaft Air France-KLM, welche die rechtlich eigenständigen Fluggesellschaften Air France und KLM umfasst, ist finanziell stark betroffen und benötigt staatliche Unterstützungen in Höhe von bis zu neun Milliarden Euro. Die Bereitstellung von Staatshilfen wird an diverse Bedingungen geknüpft, hierzu zählen unter anderem Umweltauflagen. In anderen Ländern, in denen über Unterstützungen für die Luftfahrtindustrie diskutiert wird (Beispiel: Deutschland), wird nun ein analoges Vorgehen zur französischen Regierung gefordert.

Die Umweltauflagen sollen eine Reduktion der CO2-Emissionen pro Personenkilometer um 50 % bis 2030 (Ausgangsniveau 2005) sowie eine Reduktion der CO2-Emissionen bei Inlandsflügen um 50 % bis 2024 vorsehen. Hinzu kommt eine Beimischungsquote für alternative Kraftstoffe von 2 % bis zum Jahr 2025. Sie werden in Form eines Vertrages zwischen dem französischen Staat und Air France fixiert, wobei unklar ist, ob Sanktionen bei Nichterreichung dieser Ziele ausgesprochen werden können und wie die – für die Öffentlichkeit nachvollziehbare – Überprüfung der Zielerreichung stattfindet.

Am 04.05.2020 sagte der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire im Radiosender France Inter bezüglich der Umweltauflagen:

“Cela fait partie du contrat qui a été conclu entre Air France et l’État quand nous avons apporté notre soutien financier : la condition, c’est que Air France devienne la compagnie aérienne la plus respectueuse de l’environnement de la planète. Oui, ça passe par des suppressions de lignes intérieures. Mais très franchement, quand on peut faire le trajet en train en moins de 2h30, l’avion ne se justifie pas. Ça ne doit pas être une mesure transitoire mais une mesure définitive.”

“Dies [gemeint sind die Umweltauflagen] ist Teil des Vertrags, der zwischen Air France und dem Staat geschlossen wurde, als wir unsere finanzielle Unterstützung gewährten: Die Bedingung ist, dass Air France die umweltfreundlichste Fluggesellschaft der Welt wird. Ja, das bedeutet eine Kürzung der Inlandsrouten. Aber ehrlich gesagt, wenn man die Zugfahrt in weniger als zweieinhalb Stunden machen kann, ist eine Flugreise nicht gerechtfertigt. Dies sollte keine Übergangsmaßnahme sein, sondern eine dauerhafte”. (eigene Übersetzung)

Auch die französische Umweltministerin Élisabeth Borne bezog sich in einem Interview mit dem Radiosender Europe1 vom 27.04.2020 auf eine Zeitgrenze von zwei Stunden und dreißig Minuten: “Cela passe aussi par une réflexion sur le réseau d’Air France dans le pays, en particulier lorsqu’il y a des alternatives ferroviaires de moins de 2h30” / “Es erfordert auch ein Nachdenken über das inländische Air-France-Liniennetz, vor allem, wenn es Bahnalternativen von weniger als 2 Stunden 30 gibt” (eigene Übersetzung).

Welche innerfranzösischen Flugverbindungen wären betroffen?

Es stellt sich die Frage, zu welchen innerfranzösischen Flugverbindungen eine Alternative mit der Bahn existiert, die weniger als 2 Stunden und 30 Minuten bzw. 150 Minuten dauert und somit von dieser Regelung betroffen wären. Das innerfranzösische Liniennetz von Air France wird zum Großteil von der Tochtergesellschaft Air France Hop bedient, einzelne Verbindungen werden direkt Air France geflogen. Stand 2020 führt die Tochtergesellschaft Transavia als Low Cost Carrier keine innerfranzösischen Flüge durch.

Das innerfranzösische Routennetz von Air France bzw. von Air France HOP im Jahr 2016. Es ist auch für 2020 aktuell, jedoch werden die folgenden zwei Linien nicht mehr bedient: La Rochelle – Poitiers und Paris – Lannion. – Karte: Air France

Zum Vergleich der Reisedauer zwischen Flugzeug und Bahn habe ich Abfragen über die Webseiten von Air France und der französischen Bahngesellschaft SNCF durchgeführt. Die Abfrage erfolgte für Verbindungen am 01.06.2020 ab 06:00 Uhr. Betrachtet wurden jeweils nur Hinflüge bzw. Hinfahrten. In die Tabelle wurden jeweils die kürzesten Reisezeiten übernommen, größere Abweichungen ab 30 Minuten traten nur vereinzelt auf. Für den Luftverkehr wurde die Anzahl der Direktverbindungen und der Umsteigeverbindungen mit einer Dauer ≤ 4 Stunden (≤ 240 Minuten) ebenfalls erfasst (oneway, für die Gesamtzahl der Flüge dürften diese in der Regel mit dem Faktor 2 zu multiplizieren sein). Die Verbindungen Paris-Agen und Paris-Quimper werden nur saisonal im Sommerflugplan (ab 15. Juni) bedient. Sie wurden der Vollständigkeit halber ebenfalls in die Betrachtung mit aufgenommen. Die Verbindungen nach Korsika habe ich unberücksichtigt gelassen.

Insgesamt entsprechen 57 mögliche Verbindungen den Kriterien, von denen 49 direkt bedient werden. Am 01.06.2020 sollen auf diesen Routen 228 Direktflüge durchgeführt werden (Hin- & Rückflug: 456). Hinzu kommen 175 mögliche Umsteigeverbindungen, die vom Startflughafen bis zum Zielflughafen maximal 240 Minuten dauern.

AirlineVonnachDauer Zug [Min]Dauer Flug [Min]DirektflügeUmsteige-verbindungen
≤240 Min.
Anmerkungen
HOPMontpellierLyon11516005
HOPParisLyon11760812
HOPParisNantes1226546
AFParisBordeaux12870134
HOPClermont-FerrandLyon13618502
HOPParisMulhouse1626530
HOPLilleLyon1778022
HOPParisLorient1787513
AFParisMarseille18480152
HOPParisAgen2029020erst ab 15.06.
HOPParisMontpellier20875130
HOPParisClermont-Ferrand2096070
HOPStrasbourgLille20918003
HOPParisBrest2117070
HOPParisQuimper2159520erst ab 15.06.
HOPLyonStrasbourg2196031
HOPToulouseMarseille22260317
HOPParisToulon2278570
HOPLilleNantes2477533
HOPToulouseLyon24960510
HOPParisBiarritz2508071
HOPLilleBordeaux2548533
HOPParisBrive2566530
HOPParisPau2648591
HOPNantesLyon2647055
HOPLyonNancy (Metz-Nancy)2686030
AFParisToulouse27075290
HOPLilleMarseille27010035
HOPLyonMetz (Metz-Nancy)2706030
HOPLyonNizza27155310
HOPCaenLyon2727531
HOPNantesBordeaux2725525Codesharing mit Chalair Aviation
HOPParisLourdes (Airport Tarbes-Lourdes)2928030
HOPNantesStrasbourg30118501
HOPParisPerpignan3038040
HOPBordeauxStrasbourg30519501
HOPParisTarbes (Airport Tarbes-Lourdes)3178030
HOPBordeauxLyon3227035
HOPMarseilleStrasbourg3338010Wet Lease WDL Aviation
AFParisNizza34285250
HOPParisAurillac3558010
HOPBordeauxMarseille3586527
HOPParisCastres3606510Wet Lease Aero4M
HOPBrestLyon3659011
HOPLilleToulouse3889522
HOPNantesToulouse3907017
HOPToulouseNizza413160017
HOPPauLyon4247022
HOPNantesMontpellier43720003
HOPToulouseStrasbourg4399511
HOPLilleNizza45010512
HOPBiarritzLyon4778023
HOPNizzaMetz (Metz-Nancy)5038012
HOPNizzaStrasbourg5288011
HOPNizzaNancy (Metz-Nancy)5318012
HOPNantesNizza5419017
HOPBordeauxNizza543180010

Es zeigt sich, dass nur drei Direktverbindungen mit insgesamt 25 Flügen pro Tag unter die Grenze von 150 Minuten Fahrzeit mit dem Zug fallen:

  • Paris – Lyon (8)
  • Paris – Nantes (4)
  • Paris – Bordeaux (13)

Der Großteil des innerfranzösischen Routennetzes fällt folglich nicht unter die Regelung und könnte ohne Einschränkungen weiter bedient werden.

Würde die Grenze von 150 auf 240 Minuten erhöht, würden neben den in der Tabelle aufgeführten Umsteigeverbindungen folgende Direktverbindungen mit 77 Flügen am Tag auf die Bahn verlagert werden:

  • Paris – Lyon (8)
  • Paris – Nantes (4)
  • Paris – Bordeaux (13)
  • Paris – Mulhouse (3)
  • Lille – Lyon (2)
  • Paris – Lorient (1)
  • Paris – Marseille (15)
  • Paris – Agen (2)
  • Paris – Montpellier (13)
  • Paris – Clermont-Ferrand (7)
  • Paris – Brest (7)
  • Paris – Quimper (2)
  • Lyon – Strasbourg (3)
  • Toulouse – Marseille (3)
  • Paris – Toulon (7)

Air France plant für den Sommer die Überarbeitung des innerfranzösischen Liniennetzes. Dies umfasst neben der Reduzierung der Verbindungen zu Städten, die mit der Bahn in weniger als 2 Stunden 30 Minuten erreicht werden können (Nantes, Bordeaux und Lyon) auch die Schließung defizitärer Strecken und die Neuausrichtung von Air France Hop auf die Bedienung der Drehkreuze Paris-CDG und Lyon. Die Billigfluggesellschaft Transavia soll neue innerfranzösische Verbindungen abseits der Drehkreuze aufnehmen.

Fazit

Die im Rahmen der Staatsbeihilfen ausgehandelten Auflagen bedeuten keineswegs das Ende des innerfranzösischen Luftverkehrs. Der Großteil der Verbindungen ist von der Regelung nicht erfasst. Bei diesen könnte die Reduktion der CO2-Emissionen bei Inlandsflügen um 50 % bis 2024 (Ausgangsjahr 2005) greifen. Es ist aber unklar, ob und wie diese Reduktion kontrolliert bzw. bei Nichterreichen sanktioniert wird.

Grundsätzlich stellt sich wieder einmal die Frage nach der Notwendigkeit des inländischen Flugverkehrs. Wie notwendig ist er eigentlich? Sind die ökologischen Folgen im Vergleich zu einem Zeitgewinn von zwei bis drei Stunden vertretbar? Muss der Bahnverkehr zwingend schneller werden oder sind nicht vielmehr die Ansprüche an Geschwindigkeit und minimale Reisezeiten zu verändern? Was ist ein individueller Zeitgewinn von zwei Stunden in diesem Kontext wert bzw. was kostet er? Wie soll eine Dekarbonisierung des Luftverkehrs erfolgen und das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten werden? Für diese Fragen bedarf es Antworten.

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Phil
Phil
27. Mai 2020 08:26

Für die Fragen nach dem Sinn und der Zweckmäßigkeit von Inlandsflügen bedarf es schon seit langer Zeit eine Antwort. Aber auch hier muss differenziert werden. Sprechen wir hier über einen Inlandsflug von 100km oder von 600km? Erstere sind meines Erachtens nach durchaus mit einer Bahnfahrt zu substituieren. Es bleibt jedoch bedauerlich, wie der Luftverkehr und die ganze Branche unter der aktuellen Lage leidet. Wenn man sich nur einmal vergegenwärtigt, was dort oben los ist. Oder eben auch nicht…

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