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Die Straße gehört uns allen – unsere erste temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße

Willkommen in der temporären Spiel- und Nachbarschaftsstraße - Foto: eigene Aufnahme

Dies ist ein  von Anna Schröder, Miriam Marzog, Yvonne Misiolek und Luca Henke. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastartikel zu veröffentlichen, dann schreiben Sie mir bitte.

Wir haben die Barmer Straße in Dortmund für drei Stunden anders genutzt, als man es heutzutage gewohnt ist – und zwar ohne Autos! In diesem Beitrag möchten wir von unserer erfolgreichen zeitweiligen Umwandlung einer gewöhnlichen Straße zu einer belebten Spiel- und Nachbarschaftsstraße berichten und erklären, wie es überhaupt zu dieser Aktion gekommen ist.

Bei einer temporären Spiel- und Nachbarschaftsstraße wird für einen gewissen Zeitraum eine Straße für den Verkehr gesperrt und der Nachbarschaft zur fröhlichen Nutzung zur Verfügung gestellt. Wie eine temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße aussehen kann und welche Schritte dafür notwendig sind, könnt ihr in unserem Leitfaden nachlesen.

Aber zunächst einmal eine kleine Vorstellungsrunde – wer sind wir überhaupt?

Wir sind Luca, Miriam, Yvonne und Anna und studieren Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund. Im Rahmen eines Seminars über transformative Aktionen haben wir uns mit dem derzeit sehr aktuellen Thema der Temporären Spielstraßen auseinandergesetzt. Hierbei sind wir auf Cornelia Dittrich vom Bündnis Temporäre Spielstraßen in Berlin gestoßen, die uns ermutigt hat, auch in Dortmund neue Impulse zu setzen und eine temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße auszuprobieren. “Ihr braucht nicht viel, außer engagierte AnwohnerInnen und die drei wichtigsten Utensilien: Kreide, Sitzmöglichkeiten und Verkehrshütchen, die ersichtlich machen, dass heute auf der Straße etwas stattfindet”, erklärte sie uns. Danach war uns klar: Wir planen die erste temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße in Dortmund.

Wieso ist das Thema überhaupt so wichtig ?

Wir alle kennen den öffentlichen Raum als einen Ort, der vor allem durch parkende Autos, Verkehrslärm und schmale Bürgersteige geprägt ist. Es entsteht zunehmend ein Gefühl, dass der öffentliche Raum nur noch dem Verkehr dient und Kinder ausschließlich auf vereinzelten Flächen die Möglichkeit haben, frei zu spielen, zu bewegen und sich zu begegnen. Die Straße ist zu einem Raum geworden, den es schnell und sicher zu überwinden gilt und der keinen Platz für Begegnungen zulässt.

Illustration: © Karl Jilg / Swedish Road Administration

In den letzten Monaten hat die Coronapandemie uns allen gezeigt, dass der öffentliche Raum ein knappes Gut ist und vor der eigenen Haustür viel zu viel Verkehrsfläche zu finden ist. Spielplätze, Sportvereine, Schulen und Gemeinschaftsräume wurden geschlossen und die Suche nach neuen Aufenthaltsorten für Jung und Alt verschärfte sich. Abstand halten und Platzmangel spielen noch immer eine große Rolle in unserem Alltag.

Um auf diese Problematik aufmerksam zu machen und einen Impuls für andere Sichtweisen und Diskussionen über die Nutzung von Straßen- bzw. öffentlichen Räumen zu geben, haben wir uns dazu entschieden, eine temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße in Dortmund einzurichten. Mit der Aktion wollen wir zeigen, was eine Straße auch sein kann: ein Bewegungs-, Spiel- und vor allem Begegnungsort direkt vor der eigenen Haustür!

Die Barmer Straße wird zum Bewegungs-, Spiel- und Begegnungsort

Natürlich braucht so eine Aktion auch immer ein bisschen Organisationsaufwand, doch wenn man weiß, worauf man achten muss und mit Freude bei der Sache bleibt, dann fällt die Planung viel leichter. Gemeinsam haben wir für euch eine Schritt für Schritt-Anleitung zusammengestellt, die euch bei der Planung einer Temporären Spiel-und Nachbarschaftsstraße unterstützen kann. Wir wollen euch einen Leitfaden mit Tipps an die Hand geben, um zu zeigen, dass ihr mit wenig Aufwand und Kosten eine Temporäre Spiel- und Nachbarschaftsstraße erproben könnt.

Ein entscheidender Faktor ist die Genehmigung bzw. Anmeldung eurer Aktion. Es gibt die tolle Möglichkeit, eure Aktion als Versammlung (bei der Polizei) und nicht als Veranstaltung (beim Ordnungsamt) anzumelden. Bei der Anmeldung einer Versammlung bei der zuständigen Behörde ist es wichtig, dass ihr eine politische Forderung habt. Sei es, dass ihr mit eurer Spielstraße für mehr Verkehrssicherheit, eine gerechte Aufteilung des öffentlichen Raums oder für mehr Platz zum Spielen und Begegnen demonstriert. Es ist wichtig standhaft zu bleiben und sich nicht von der Idee und der Straße vertreiben zu lassen. Falls ihr Fragen zur Anmeldung habt, könnt ihr uns gerne schreiben: spielstrasse.dortmund (ät) gmail (punkt) com

Die einzelnen Schritte könnt ihr diesem Leitfaden entnehmen, den ihr hier herunterladen könnt:

Der Leitfaden kann hier heruntergeladen werden.

Mit Straßenkreide, Fuß- und Federbällen auf die Straße

Endlich ist es soweit! Wir können unsere Spiel- und Nachbarschaftsstraße in Dortmund umsetzen. Gespannt warten wir, was auf uns zukommt, wie die Nachbarschaft auf unsere Aktion reagiert und wie viele BesucherInnen wir an diesem Tag begrüßen dürfen.

Es bot sich ein ungewohntes Bild: Bis auf drei Autos war die Straße vollständig autofrei. Zunächst gab es allerdings auch noch ein paar Dinge zu erledigen, um die Kinder und NachbarInnen herzlich willkommen zu heißen. Ein nervöser Blick auf die Uhr. Noch eine gute halbe Stunde bis zum offiziellen Beginn unserer Spiel- und Nachbarschaftsstraße. Gemeinsam mit der Polizei stellten wir die Absperrungen auf, um in Ruhe den Straßenabschnitt zu gestalten. An beiden Straßenseiten befestigen wir unsere selbstgemalten Willkommensschilder und dekorieren die Straße mit Girlanden. Mit Straßenkreide malen wir ein großen Willkommens-Schriftzug auf die Straße. An Bäumen hängen wir Corona-Benutzungsregeln für unsere Aktion auf.

Sperrung des Straßenabschnitts für die temporäre Spielstraße – Foto: eigene Aufnahme
Benutzungsregeln für die temporäre Spielstraße mit speziellen Hygieneregelungen während der COVID19-Pandemie – Foto: eigene Aufnahme

Auf der Straße stellen wir kleine Fußballtore, Verkehrshütchen und Sitzmöglichkeiten auf und verteilen ausreichend Straßenmalkreide. Die sichtbare Platzierung von Kreide, Sitz- und Spielmöglichkeiten ist besonders wichtig, um eine einladende Atmosphäre zu schaffen.

Nach wenigen Minuten füllt sich die Barmer Straße, zunächst mit spielenden Kindern und anschließend mit ihren Eltern, NachbarInnen und weiteren Interessierten. Auch spontan vorbei Spazierende nutzen die Gelegenheit, bei tollem Sonnenschein die Zeit auf der Straße nach eigenen Vorstellungen zu verbringen. Die ganze Straße wird bespielt. Kinder und Eltern bringen eigenes Spielzeug mit – vom Gummitwist bis zur kleinen Rutsche – fehlte es den Kindern an nichts. In ihren Gesichtern war die Begeisterung zu erkennen, denn die Straße ohne Autos zu erleben, ist insbesondere für Stadtkinder etwas Ungewöhnliches.

Temporäre Spielstraße in Dortmund – Foto: eigene Aufnahme

Auf dem Bürgersteig haben Eltern und NachbarInnen Stühle und Tische aufgestellt und genießen den Sonntag bei Sonnenschein, Kaffee und Kuchen auf der Straße. Viele erinnert diese Aktion an ihre eigene Kindheit, als sie noch unbeschwert auf der Straße spielen konnten. Sie sind von der Aktion so angetan, dass sie nach einer Wiederholung fragen.

Gruppe von Eltern und Nachbarn – Foto: eigene Aufnahme

Das ungewohnte Bild einer bunten und belebten Straße, die einen Raum für Menschen und nicht für Autos bietet, war für uns alle beeindruckend. Auch die Anzahl der NutzerInnen überstieg unsere Erwartungen und ist ein Zeichen für ein breites Interesse an dem Thema.

Die temporäre Spielstraße wird bespielt und farblich umgestaltet – Foto: eigene Aufnahme

Alles in allem hatte dieser rundum gelungene Tag, neben der Freude, die wir persönlich während der Aktion hatten, weitere positive Effekte. So führte der angeregte Austausch der AnwohnerInnen zu einer Stärkung der Nachbarschaft, Kindern wurden ungewohnte Spielmöglichkeiten geboten und es gelang, einen neuen Blickwinkel auf die Nutzungsmöglichkeiten des Straßenraums zu bekommen. Wir sind uns bewusst, dass wir zu viert nicht für eine grundlegende Neugestaltung der Dortmunder Straßenräume sorgen können. Daher verstehen wir unsere Aktion als Impuls und Intervention. Wir wollen zeigen, was alles möglich ist! Im besten Falle finden sich begeisterte MitstreiterInnen und Dortmunds Straßen werden in regelmäßigen Abständen Orte des Spiels- und der Begegnung. Das Bündnis temporäre Spielstraßen in Berlin kann gewissermaßen als Vorbild gesehen werden. Insgesamt kann unsere Aktion somit als Beispiel für potenzielle NachahmerInnen gesehen werden, wie uns eine begeisterte Anwohnerin bestätigte. Uns jedenfalls würde es freuen, wenn wir alle uns in Zukunft öfter auf der Straße begegnen – ganz ohne Autos.

Bei Fragen zu temporären Spielstraßen und zur Anmeldung, könnt ihr uns gerne eine E-Mail schreiben: spielstrasse.dortmund (ät) gmail (punkt) com

Anna Schröder

Anna Schröder studiert Raumplanung der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro STADTKINDER in Dortmund.

Miriam Marzog

Miriam Marzog studiert Raumplanung an der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro Drees&Sommer in Köln als Werkstudentin. Zuvor hat sie ihren Bachelor of Science an der Bergischen Universität Wuppertal gemacht.

Yvonne Misiolek

Yvonne Misiolek studiert Raumplanung an der TU Dortmund.

Luca Henke

Luca Henke studiert Raumplanung an der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro Stadt+Handel in Dortmund.

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Antje Olaberry
Antje Olaberry
21. Oktober 2020 08:40

Eine ganz tolle Aktion und ein wichtiges Zeichen gegen den ganzen Autoverkehr. Wir möchten es auch in unserem Städtchen im Frühjahr nachahmen. Vielen Dank für den Artikel.

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Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

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Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Weitere Informationen

Verfasst von:

Anna Schröder

Anna Schröder studiert Raumplanung der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro STADTKINDER in Dortmund.

Miriam Marzog

Miriam Marzog studiert Raumplanung an der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro Drees&Sommer in Köln als Werkstudentin. Zuvor hat sie ihren Bachelor of Science an der Bergischen Universität Wuppertal gemacht.

Yvonne Misiolek

Yvonne Misiolek studiert Raumplanung an der TU Dortmund.

Luca Henke

Luca Henke studiert Raumplanung an der TU Dortmund und arbeitet nebenbei im Planungsbüro Stadt+Handel in Dortmund.