Dies ist ein Gastartikel von Dr. Olga Levina. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastartikel zu veröffentlichen, dann schreiben Sie mir bitte.
Digitale Dienste und Plattformen für die Mobilität
Seit einigen Jahren kann beobachtet werden, wie die Datafizierung der Mobilitätsdomäne zur Entstehung von zahlreichen digitalen Diensten und Anwendungen geführt hat, die von unterschiedlichen Anbietern betrieben und verwaltet werden. Die Bündelung dieser Dienste wird meist über eine digitale Plattform realisiert. Digitale Plattformen bieten einen Zugang zu vielen verschiedenen öffentlichen und privatwirtschaftlichen (Mobilitäts-)Dienstleistungen und somit eine Flexibilität bei der Auswahl der möglichen und verfügbaren Verkehrsmittel. Dabei gibt es lokale Mobilitätsplattformen, die die angebotenen Dienste in der Region bündeln, wie z.B. Jelbi, eine Mobilitätsplattform der Berliner Verkehrsbetriebe, oder Datenplattformen, wie z.B. die M2G-Plattform, eine Forschungsplattform des Forschungscampus Mobility2Grid, die offene Mobilitäts- und Energiedaten für die Weiterentwicklung von Mehrwertdiensten zur Verfügung stellt. Globale Mobilitätsplattformen wie Moovit oder Cityhopper bündeln Daten aus verschiedenen Quellen, um eine Mobilitätsanfrage zu erfüllen. Dieses Angebot hat in den letzten Jahren die Auswahl an Mobilitätsoptionen für die Nutzenden wesentlich erweitert. Verfügbarkeit und die Auswahl von neu aufgekommenen individuellen Verkehrsmitteln wie eScooter, Car- und Bike-Sharing und individuellen Verkehrsmodellen wie Ride-Sharing und –Hailing kann so gebündelt und planbar gemacht werden. So entstehen integrierte Mobilitätsdienstleistungen, die unter dem Begriff MaaS (Mobility as a Sevice) zusammen gefasst werden.
Die Schattenseiten von MaaS
Neben der Simulation des Wandels der urbanen Mobilität in Richtung Effizienz und Nachhaltigkeit, spiegeln die MaaS-Angebote auch die gesellschaftliche Spaltung wider. So zeigt sich, dass die durchschnittlichen Nutzer von Car-Sharing-Angeboten überwiegend jung und männlich sind, und im urbanen Raum leben. Zu dieser demografischen Komponente kommen noch die wirtschaftlichen Aspekte hinzu. Denn die einzelnen Dienstleistungen wie die Buchung von eScootern, Fahrrädern oder Elektro-Rollern müssen zusätzlich zu den Fahrkarten des ÖPNV bezahlt werden. Das macht sie zu den bisherigen Formen der Mobilität wie dem Zufussgehen, eigenen Fahrrad oder Abonnement des ÖPNV relativ teuer. Auch muss diese Buchung hauptsächlich mithilfe digitaler Geräte (Smartphone, Tablet, Laptop) erfolgen, die nicht allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen zur Verfügung stehen.
Des Weiteren helfen die Angebote der neuen Mobilität meist nicht den Menschen, die bereits eingeschränkte Mobilität in Kauf nehmen müssen, z.B. Menschen mit körperlichen Behinderungen, Menschen ohne Führerschein, oder auch Personen, die weitere Personen transportieren müssen (Kinderwagen etc.). Die digitalen Mobilitätsplattformen sind also, anders als der öffentliche Verkehrssektor, nicht an die Regularien und Prinzipien des Personenbeförderungsgesetztes wie z.B. Inklusion, gebunden. Zudem kann beobachtet werden, dass die Dienstleistungen der Ride-Sharing- und Ride-Hailing-Anbieter häufiger in den profitablen Siedlungsgebieten zur Verfügung gestellt werden, so dass hierdurch eine Gefahr der Kannibalisierung des regulären öffentlichen Verkehrs einerseits und weiterer Abschottung von Randgebieten andererseits besteht. Mobilitätslösungen aus diesem Bereich der neuen Mobilität auf dem Land befinden sich einerseits noch in der Pilotierungsphase. Andererseits zeigen diese Pilotanwendungen, dass auch sie im Vergleich zu ÖPNV ebenfalls mit erhöhten Kosten verbunden sein werden (siehe z.B.: Carla im Wartburgkreis, ein Elektroruftaxi).
Mit den aufkommenden digitalunterstützten Angeboten sollen unter anderem die Benutzung des privaten PkWs und damit der Verkehr auf den Straßen sinken. Empirische Untersuchungen in San Francisco zeigten jedoch, dass individualisierte Transportdienste wie Uber und Lyft den größten Beitrag an den Staus in Stadt haben. Simulationsmodelle zeigen auch, dass die Einsparpotentiale im Bereich des CO2 von Ride-Sharing- Diensten durch entsprechende Reboundeffekte so gut wie ausgeglichen werden würden. Während die Fahrdienste also aktuell die individuelle Mobilität steigern und somit durchaus positive gesellschaftliche Aspekte hervorrufen können, stellen sie aus der Sicht der Verkehrsplanung eine Belastung, die sich auf die Einwohner:innen auswirkt, dar.
Auch das Streben nach mehr Nachhaltigkeit, das durch die Digitalisierung der Mobilitätsprozesse angestrebt wird, wird durch die neuen Formen der Mobilität herausgefordert. Digitale Plattformen und Dienste, die Daten sammeln, verarbeiten, speichern und weiterleiten, brauchen eine Menge Energie. Die gesamte Informations- und Kommunikationstechnik ist jetzt schon für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, genau so viel wie mit Flugbenzin, verantwortlich. Sicherlich fällt nur ein Teil davon für Mobilitätsdaten an, diese Zahl zeigt aber, dass die Dienste wie Navigation, Buchung etc. auch mit externen Kosten, die die Gesellschaft als Ganzes trägt, verbunden ist. Mit dem Aufkommen der Vehicle-to-X-Technologien sowie des autonomen Fahrens wird die Menge an der anfallenden Daten und damit der Energiekosten nochmals wesentlich steigen.
Auch Navigationsdienste als erweiterte Mobilitätsdineste können einen Einfluss auf die Verkehrsführung und die sozial-wirtschaftlichen Strukturen eines Gebiets haben. So führt das Umfahren von Gegenenden, die als gefährlich betrachtet werden, zu ihrer größeren Abschottung. Verbindung der Navigationsdienste mit persönlichen Profilen aus den Sozialen Netzwerken kann dazu verwendet werden, durch Nudging das Einkaufsverhalten der Nutzer:innen zu steuern. Diese Tendenz zeigt sich bei der neuen Community Updates Funktion von Google Maps. Was mit dem Kauf von Waze, einer Community-basierten Echtzeitnavigation, angefangen hat, wird nun auf das erweiterte Netzwerk der Nutzer:innen ausgerollt, um die Navigationsrouten entsprechend anzupassen. Dabei liegt es nahe, dass für die Auswahl der Route nicht nur der schnellste Weg, sondern auch evtl. Zwischenstationen oder Umwege, die z.B. das Konsumverhalten stimulieren, als Kriterium gewählt werden.
Digitale Mobilität und mögliche Folgen
Die Verschmelzung der Domänen der Freizeit, Unterhaltung und Mobilität ist bereits seit einigen Jahren auf dem Markt der digitalisierten Mobilität zu beobachten. So werden z.B. Öffnungszeiten und verschiedene points of interest in der Karte angezeigt bzw. können individuell gefiltert angezeigt werden. Auch Buchungs- und Reservierungsmöglichkeiten bei Restaurants und Lieferdiensten sind in den Karten als Plattformen bereits integriert. Hinter den Mobilitätsplattformen steht also ein Milliardenmarkt, der nicht mehr primär auf die Fortbewegung fokussiert ist.
Die Bedeutung der angereicherten Mobilitätsdaten wird auch mit der Verbreitung der Fahrassistenten bzw. autonomen Fahrzeugen in der Zukunft weiter steigen. So wurde z.B. im Mai 2020 Moovit, eine MaaS-App, an Intel, einen Chip-Hersteller, verkauft. Intel sieht in der Akquise der Datenbestände von Moovit, bezüglich u.a. Verkehrsaufkommen, Kriminalstatistik, Navigation etc., die Chance diesen mit seinem advanced driver-assistance system (ADAS) zu kombinieren und so einen Markt für Daten aus MaaS- und ADAS- Anwendungen zu schaffen. Obwohl das MaaS-Geschäftsmodell für sich genommen, noch nicht profitabel ist, scheint das Potential noch nicht ganz ausgeschöpft worden zu sein.
Digitale Technologie und Mobilität: In der Zukunft unzertrennlich?
Die digitalen Technologien, die häufig von der westlichen US-Küste kommen, scheinen die Entwicklungen vorzuzeichnen: Automobil(software)hersteller, MaaS-Plattformen oder Social Network-Plattformen und andere technologiebasierten Unternehmen werden die Auswahl an Fahrzeugen, Bewegungsmodi und –mustern bei der individuellen Mobilität prägen. Es stellt sich die Frage, ob wir als Gesellschaft diese Entwicklung akzeptieren, oder aktiv mitgestalten wollen. Dafür müssen wir uns die grundlegende Frage stellen, wie wir uns in Zukunft bewegen wollen und wie diese Bewegungsarten sich auf die Flächennutzung in der Stadt auswirken soll. Die Bundesregierung hat ein New Mobility Programm für die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft aufgestellt. In diesem Rahmen müssen sich Bürger:innen zusammen mit Expert:innen aus den Bereichen der Stadtplanung und auch -verwaltung Szenarien diskutieren und ihre Realisierung vorantreiben.
Der technologische solutionism, also Lösungsdang mithilfe von digitalen Technologien, hat in den letzten Jahrzehnten viele Bereiche der Gesellschaft erreicht. In der Mobilität wird es vor allem durch die steigende Zahl an verschiedenen Diensten und Dienstleistungen, die z.B. die digitale Buchung von geteilten Fahrzeugen oder Transportdienstleistungen erlauben, sichtbar. Dadurch steigt zwar die Effizienz der Inanspruchnahme der Dienstleistung, die individuelle Effizienz in der Mobilität bleibt davon jedoch relativ unberührt. Die Erkenntnis, dass sich durch Technologie nicht alle und vor allem nicht gesellschaftliche Probleme lösen lassen, scheint nun jedoch auch in der öffentlichen Diskussion anzukommen. Es ist also jetzt an der Zeit für uns als Gesellschaft zu definieren, wie viel Technologie wir für die Mobilität, die wir brauchen und wünschen, tatsächlich benötigen.
Ein sehr interessanter Beitrag, der zum Nachdenken anregt!
Beim momentanen Digitalisierungswahn im Mobilitätssektor wird leider oft vergessen, dass man mit der massiven Stärkung des Rad- und Fußverkehrs, zumindest im urbanen Raum, schon viele Probleme lösen könnte. Damit lässt sich jedoch leider kein Geld verdienen, weshalb dieses Thema wohl oftmals nicht genug Aufmerksamkeit bekommt.
Darüber hinaus erachte ich die Möglichkeiten der Digitalisierung im Verkehrssektor als sehr hilfreich, um die oben genannte Grundlage der Mobilität zu ergänzen. Besonders das Angebot des ÖPNV bietet viel Potenzial zur Verbesserung durch die Möglichkeiten der Digitalwirtschaft.
Bei Ride-Hailing Diensten und ähnlichen Angeboten stellt sich, wie beim Ausbau von Mobilfunknetzen, die Frage, wie man Anbieter dazu verpflichten kann nicht nur bevölkerungsdichte Areale zu bedienen, sondern ebenso in ländlichen Räumen einen Service anzubieten.
Es bleibt spannend :)