Der neue Bericht “TRAFFIC IN THE CITY 2018” der City of London Corporation (Gebietskörperschaft der City of London) weist einen signifikanten Rückgang des motorisierten Individualverkehrs und ein starkes Wachstum des Radverkehrs auf. In der morgendlichen Hauptverkehrszeit zwischen 08:00 – 09:00 Uhr wurden mehr Fahrräder als Pkw gezählt. Das Fahrrad hat somit eine tragende Rolle im Berufsverkehr übernommen. Die Einführung der Congestion Charge und der Ausbau des Radwegenetzes zeigen Wirkung. London steht somit exemplarisch für eine Stadt, welche durch die Kombination von push- und pull-Maßnahmen Veränderungen im städtischen Verkehr erzielen konnte.
Die City of London umfasst das unmittelbare Innenstadtgebiet Londons, auf dessen Fläche von 2,90 km² sich das historische und wirtschaftliche Zentrum Londons herausgebildet hat.
Die Untersuchung findet seit 1999 im Zweijahresrhythmus statt und umfasste 2017 erstmals die Zählung des Fußverkehrs. Diese wird an 15 Straßenquerschnitten verschiedener Straßenkategorien über einen 12-Stunden-Zeitraum von 07:00 – 18:59 Uhr durchgeführt. Die Daten wurden im Oktober und November erhoben.
Gezählt werden:
- Car: Private Pkw (umfasst auch Minicabs und Ridesharing-Fahrzeuge bspw. von Uber)
- Taxis (Black Taxicabs)
- MC: Motorräder und Motorroller (ohne E-Bikes)
- LGV: Leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen
- OGV: Schwere Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen mit zwei oder mehr Achsen
- PSV: Public Service Vehicles wie bspw. Busse von Transport for London, Reisebusse, Stadtrundfahrten, etc.
- Cycle: Fahrräder inkl. Bikesharing-Räder
- pedestrian: Fußgänger
Verkehrsaufkommen in der City of London 1999 – 2017
Die Zahl der gezählten Fahrzeuge sank zwischen 1999 bis 2017 von über 200.000 auf unter 124.000. Dieser Gesamtrückgang um 40 % entspricht einem jährlichen Rückgang um etwa zwei Prozent, wenngleich die Verkehrsmengenreduktion in Schüben (2004, 2010 und 2016) und nicht kontinuierlich zu beobachten ist. Sie geht einher mit der Einführung der Congestion Charge im Jahr 2003 (Hintergrundinformationen und Wirkungsanalyse: Innenstadtmaut in London, Mailand und Stockholm – eine Übersicht), welche nahezu die gesamte Fläche der City of London umfasst, der Rezession im Jahr 2008 und der Einführung der Cycle Superhighways im Jahr 2016. In den Jahren 2007, 2012 und 2017 wurde eine leicht gestiegene Verkehrsmenge beobachtet.
Der Rückgang der gezählten Fahrzeugbewegungen geht maßgeblich auf eine Reduktion des Pkw- und Taxiverkehrs in der Londoner Innenstadt zurück. Zwischen 1999 und 2017 sank die Zahl der gezählten Pkw und Taxis von 133.877 auf 55.216 und somit um 59 %.
Mit Ausnahme des Radverkehrs ist ein Rückgang um mindestens ein Drittel bei allen Verkehrsarten zu beobachten. Die Zahl der Motorräder und Motorroller sank bspw. um 49 %. Die Zahl der schweren Nutzfahrzeuge ist ebenfalls signifikant gesunken (-51 %), die Zahl der leichten Nutzfahrzeuge um 37 %. Bei Letzteren ist das Aufkommen seit 2004 relativ konstant.
Die Zahl der Radfahrten ist zwischen 1999 und 2017 um rund 24.000 Fahrten gestiegen. Dies entspricht einem Wachstum um 292 %. Da die Erhebung im Oktober und November durchgeführt wurde, können Rückschlüsse für das gesamte Jahr gezogen werden. In den Sommermonaten dürfte das Radverkehrsaufkommen vermutlich noch größer sein.
Veränderung des beobachteten Verkehrsaufkommens 1999 – 2017 nach Verkehrsart – Indexwerte (1999 = 100)
Zwischen 1999 und 2012 ist das Radverkehrsaufkommen im Durchschnitt über 20 Prozent pro Jahr gewachsen. In einigen Jahren konnte eine Wachstumsrate von über 50 % beobachtet werden. Ein signifikanter Anstieg ist seit 2004 und damit ein Jahr nach Einführung der Congestion Charge zu beobachten. Seit 2012 hat sich das Wachstum jedoch abgeschwächt. Die City of London Corporation geht daher davon aus, dass ein weiteres Wachstum nur mit signifikanten Veränderungen im Bereich Infrastruktur und Verkehrsmittelwahlverhalten erreichbar sein wird.1
Die morgendliche Hauptverkehrszeit im Detail
Das Verkehrsaufkommen in der morgendlichen Hauptverkehrszeit ist seit 2007 mit Ausnahme des Jahres 2012 rückläufig.
Die Zahl der Radfahrer, die während der morgendlichen Stoßzeit gezählt wurden, hat sich seit 2007 mehr als verdoppelt. Das Fahrrad ist damit das Fortbewegungsmittel, das zwischen 08:00 bis 09:00 Uhr am häufigsten auf den Straßen der City of London gezählt wird. Die Zahl der Pkw und Taxis, die während der morgendlichen Spitzenstunde gezählt wurden, ist seit 2007 zurückgegangen, während das Volumen der Güter- und Dienstleistungsfahrzeuge im gleichen Zeitraum relativ unverändert geblieben ist.
Modal Split zu den jeweiligen Spitzenstunden in der morgendlichen und abendlichen Hauptverkehrszeit
Die Verkehrszusammensetzung unterscheidet sich in der morgendlichen und abendlichen Spitzenstunde. Die morgendliche Spitzenstunde zwischen 08:00 – 09:00 Uhr weist einen signifikant höheren Anteil von leichten und schweren Güter- und Dienstleistungsfahrzeugen (LGV und OGV) auf, während in der abendlichen Spitzenstunde (17:00 – 18:00 Uhr) der Anteil der Pkw und Taxis weitaus höher ist. Dies steht im Gegensatz zu den relativ gleichen Anteilen von Fahrrädern, Motorrädern und Bussen, die in den beiden Spitzenzeiten gezählt werden. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass zwar das Gesamtvolumen des Kfz-Verkehrs im Jahresvergleich zurückgegangen ist, die relativen Anteile des Kfz-Spitzenverkehrs jedoch seit 2007 ziemlich konstant geblieben sind, wobei deutlich mehr Güter- und Dienstleistungsfahrzeuge in der Morgenspitze und mehr Autos und Taxis in der Abendspitze gezählt wurden.
Tagesganglinien der einzelnen Verkehrsarten
Diese Entwicklung zeigt sich auch in den Tagesganglinien der einzelnen Verkehrsarten (bitte beachten: unterschiedliche Skalen).
Der Radverkehr und der Fußverkehr weisen zwei eindeutige Spitzen während des Berufsverkehrs auf. Dies zeigt die Bedeutung des nicht-motorisierten Verkehrs für Pendler – bei Fußgängern vermutlich zum Großteil mit der Nutzung eines schienengebundenen Verkehrsmittels verbunden. Der Fußverkehr besitzt zudem noch eine weitere Spitze zur Mittagszeit. Motorisierte Zweiräder folgen ebenfalls dem Verlauf, sind jedoch flacher und für den Berufsverkehr daher von geringerem Belang. Der Liefer- und Wirtschaftsverkehr ist in den Vormittagsstunden am stärksten, Public Service Vehicles (PSV, hauptsächliche Busse) haben über den Tag hinweg ein vergleichsweise konstantes Aufkommen. Pkw (einschließlich private Mietwagen) und Taxis erreichen abends ihren Höhepunkt und spielen insbesondere im abendlichen Freizeitverkehr eine größere Rolle.
Die herausragende Bedeutung des Fußverkehrs zeigt sich bei einer Betrachtung und Gegenüberstellung des Verkehrsaufkommens über den Tag nach Modi und Stunden. Für den Großteil des Tages (07:00 – 20:00 Uhr) spielt der Fußverkehr eine größere Rolle als der Fahrzeugverkehr.
Flächenbedarf und Kapazität der einzelnen Verkehrsarten (= bewegte Menschen)
Fläche ist in einer Stadt ein knappes Gut. Die Leistungsfähigkeit und Stadtverträglichkeit der einzelnen Verkehrsarten fußt zu einem signifikanten Anteil auf dem Flächenbedarf (siehe auch: Wieso wir ein neues Verständnis von Kapazität im motorisierten Individualverkehr (Pkw) brauchen und Vergleich unterschiedlicher Flächeninanspruchnahmen nach Verkehrsarten (pro Person)).
Die folgende Grafik verdeutlicht die Flächeninanspruchnahme der verschiedenen Verkehrsarten, die aus Fahrzeugaufkommen und Besetzungsgrad ermittelte Zahl der bewegten Personen und das Aufkommen im Verhältnis zum Gesamtverkehr.
Private Fahrzeuge – Pkw, Taxis und Motorräder / Mopeds – benötigten den größten Straßenraum aller Verkehrsträger – über 53 Prozent – und beförderten nur ein geschätztes Viertel aller Menschen, die auf den Straßen der Stadt unterwegs waren. Während Busse nur zwei Prozent aller gezählten Fahrzeuge ausmachten, beförderten sie schätzungsweise 19 Prozent der Menschen. Busse und Privatfahrzeuge beförderten in etwa die gleiche Anzahl von Menschen, sie benötigten dafür jedoch 9 bzw. 53 Prozent der gesamten Straßenfläche.
Fußgängern stehen etwa 9 % des Straßenraums zur Verfügung, während die Hälfte der gesamten Personenbewegungen auf sie entfiel. Dies deutet darauf hin, dass die Bürgersteige der Stadt signifikant unterschätzt werden. Sie machen oft weniger als ein Viertel des Straßenraums aus, sind aber Voraussetzung dafür, dass die Mehrheit der Menschen, die auf den Straßen unterwegs sind, unterwegs sein können.
- City of London (2018): Traffic in the City 2018, S. 10 ↩
Interessant wäre auch die Entwicklung des Verkehrsaufkommens in den angrenzenden Bezirken, bzw. in ganz London in diesem Zeitraum. Gibt es da Untersuchungen?
Es gibt für London entsprechende Berichte, auf die Schnelle hier der Bericht aus 2010: http://content.tfl.gov.uk/traffic-note-1-traffic-levels-in-greater-london-2010.pdf
Die Wirkungen in Greater London wie in den einzelnen Boroughs sind im Bericht verteilt, daher ohne Seitenangabe.
Hier Daten bis 2016, relevant sind S. 4 ff.: http://www.ftc2050.com/reports/westminster_road_traffic_final_Dec_2016.pdf
Im Allgemeinen besteht in London die Möglichkeit, relativ viele Verkehrsdaten zu erhalten und – falls möglich – auch selber zu verarbeiten und zu analysieren: https://www.dft.gov.uk/traffic-counts/
Super! Danke! Falls Sie mal nach Wien kommen, lade ich sie gerne ins Verkehrsmuseum ein, wenn Sie wollen! ; )
Naja, da weiß ich schon, was demnächst im Internet behauptet wird und in den nächsten Jahren in schlechten Programmen auftaucht um Deutschland schlecht zu reden. Wenn ich mir in Deutschland auch nur die Innenstädte oder Teile davon angucke, dann komme ich auch zu super Zahlen für den Fuß- und Radverkehr.
Es geht ja eher um die Veränderung und die Entwicklung in die richtige Richtung. In vielen deutschen Städten haben wir ja eher Stagnation oder immer noch eine Verschlechterung.
Und eingehende Betrachtung des Fußverkehrs bei Erhebungen wäre manchmal auch nicht so verkehrt…
Für welche deutsche Stadt gibt es Zahlen nur zur City? Für keine, oder? Deswegen weiß keiner, ob es nicht gleiche Effekte in Deutschland gibt,
Bzgl. der Notwendigkeit der Erhebung des Fußverkehrs sind wir uns einig, aber auch das machen im dt. Sprachaum ja auch erste Städte.
Nur für die Innenstadt selten, meistens gibt es diese ja für das gesamte Stadtgebiet. Ggf. um Daten für ein kleineres Gebiet ergänzt, wenn eine entsprechend kleinteilige Verkehrskonzeption o.ä. angefertigt wird. Man macht ja beispielsweise für jede Verkehrskonzeption Innenstadt nicht immer eine Kordonerhebung. Aber ich vermute schon, dass die Entwicklung in der City of London etwas mit den eingeführten Maßnahmen zu tun hat. Aber belegen kann man es nicht bzw. nur, wenn man noch entsprechende Zusatzinformationen bspw. von Transport for London hätte.
Aber die City of London ist aufgrund ihrer besonderen Stellung / Form der Gebietskörperschaft auch außer Konkurrenz. Diese Situation haben wir ja in Deutschland in keiner einzigen Stadt. Und Transport for London erhebt ja entsprechende Daten auch für Greater London und die einzelnen Boroughs.
Ich wollte nur vor leichtfertigen Vergleich der Zahlen mit Zahlen aus Dt. warnen. :-)
Zumindest in München wird der Radverkehrsanteil auch pro Stadtbezirk erfasst. Dort las ich mal, dass der Radverkehr an meinem Arbeitsplatz den geringsten Anteil aller Bezirke hat, gewundert hat mich das allerdings nicht.
Diese Zahlen sind besonders deshalb wichtig, weil in den gängigen Diskussionen der Radverkehr oft als untauglich für Großstädte abgetan wird. Amsterdam oder Kopenhagen zählen nach dieser Sicht nicht, Tokio wird weitgehend ausgeblendet. Einen Wandel in London wegzudiskutieren dürfte zukünftig deutlich schwieriger werden.